Exascale made in Germany: Warum Jülich jetzt Europas KI-Zentrum wird

Inhalt:

Wie Europa ins KI-Rennen einsteigt?

Die Menge an verfügbaren Datencentern im Cloud-Infrastrukturbereich ist laut EU-Kommission in den USA derzeit dreimal größer als in der Europäischen Union. Ein nicht zu unterschätzender Wettbewerbsnachteil für den Kontinent. Kein Wunder, dass die Europäer zur Aufholjagd blasen. Beim AI Action Summit in Paris (10. und 11. Februar 2025) verkündete Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen daher jüngst ein Gesamtpaket von 200 Milliarden Euro mit dem Namen InvestAI, welches den strukturellen Rückstand gegenüber den USA und zunehmend auch China aufholen soll. Das Filetstück ist eine 20-Milliarden-Tranche für die Errichtung von bis zu fünf Gigafactories mit insgesamt rund 100.000 KI-Chips der neuesten Generation. Die Kosten für eine einzige dieser Gigafactories wird mit rund 3-5 Milliarden Euro beziffert. Das Gesamtpaket soll zu 35% durch die öffentliche Hand gefördert werden, der Rest soll aus der Privatwirtschaft erfolgen. Das nordrhein-westfälische Jülich, in dem derzeit bereits Europas erster Supercomputer der Exascale-Klasse und eine von insgesamt sechs neuen KI-Fabriken entsteht, gilt dabei als Deutschlands aussichtsreichster Kandidat. Spruchreif ist bislang aber noch nichts. Doch warum ist der Standort Jülich für Deutschlands und Europas KI-Entwicklung von so strategischer Bedeutung und sind Potemkinsche Dörfer oder ist mit Europa tatsächlich ein dritter Spieler neben den USA und China in den globalen KI-Wettlauf eingetreten? Das und mehr erfahren Sie im folgenden Beitrag.

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Warum spielt Jülich eine Schlüsselrolle in Europas KI-Strategie?

Die rund 34.000 Einwohner zählende Stadt Jülich im Kreis Düren, im Dreiländereck Deutschland-Niederlande-Belgien, pittoresk gelegen an der Rur, einem Nebenfluss der Maas, nebst Renaissance-Schloss und Zitadelle, wirkt auf den ersten Blick nicht gerade wie Deutschlands Antwort auf das Silicon Valley, doch der Anschein trügt. Bereits 1956 wurde hier das renommierte Forschungszentrum Jülich gegründet, welches mit über 7.000 Beschäftigten inzwischen Europas drittgrößte Forschungseinrichtung ist. Am Standort wird vornehmlich an den Sektoren Informatik, Biochemie und Energie geforscht. 1987 wurde hier das erste deutsche Höchstleistungsrechenzentrum unter dem Namen Jülich Supercomputing Centre (JSC) eingerichtet. Gemeinsam mit dem Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS) und dem Leibniz-Rechenzentrum (LRZ) in Garching bei München bildet es das Gauss Centre for Supercomputing, die nationalen Vereinigung aller drei Höchstleistungsrechenstandorte Deutschlands. 

Seit 2023 entsteht am Jülicher Campus unter dem Namen JUPITER (Joint Undertaking Pioneer for Innovative and Transformative Exascale Research) auch Europas erster Supercomputer der Exascale-Klasse. Am 12. März gab das EuroHPC Joint Undertaking, die zuständige EU-Institution für den Bau und Betrieb von Supercomputer-Infrastruktur, überdies bekannt, dass zu den sieben in der EU bereits existierenden KI-Fabriken sechs weitere entstehen sollen. Hier erhielt der Standort Jülich ebenso den Zuschlag. Die im Bau befindliche AI Factory trägt den Namen JAIF (JUPITER AI Factory) und soll noch in diesem Jahr fertiggestellt werden. Die kolportierten Kosten belaufen sich auf rund 55 Millionen und werden durch die Europäische Union, das Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie den zuständigen Landesministerien in NRW und Hessen getragen.

Karte mit den 13 geplanten AI-Factories in Europa, darunter Jülich und Stuttgart als deutsche Standorte.

Abb. 1: Übersicht aller 13 Standorte für KI-Fabriken in Europa.

©Foto: Sebastian Schulze

Was macht JUPITER zum leistungsstärksten Supercomputer Europas?

Europas erster Supercomputer der Exascale-Klasse, entsteht derzeit unter dem Namen JUPITER (Joint Undertaking Pioneer for Innovative and Transformative Exascale Research) am Standort Jülich. Er wird durch ein Konsortium von Eviden und ParTec, zwei in München ansässigen Unternehmen, bereitgestellt. Ersteres ist spezialisiert auf Big Data und Cloud-Systeme, letztgenanntes auf die Entwicklung und den Bau von Supercomputern. JUPITER besteht aus 24.000 GH200-Chips von Nvidia. Diese Grace Hopper Superchips sind speziell für das Training von KI-Modellen optimiert. Der Supercomputer soll eine Rechenleistung von insgesamt 40 ExaFLOPs bewältigen. Mit dieser immensen Rechenleistung könnte JUPITER beispielsweise ein rechenintensives KI-Modell wie ChatGPT binnen zwei Tagen trainieren. 

INFO:

Als FLOP bezeichnet man eine Gleitkommaberechnung pro Sekunde, zu englisch: Floating Point Operations per Second. Ein ExaFLOP wäre somit eine Trillion (1.000.000.000.000.000.000) Rechenoperationen pro Sekunde. Dies entspricht der Rechenleistung von einer Million Smartphones. Würde man diese Geräte stapeln, entspräche die Höhe des Stapels etwa der des Mount Everest.

Auch wenn JUPITER noch nicht voll ausgebaut ist, wurde bereits das aus Deutschland stammende Sprachmodell Teuken-7B der europäischen KI-Initiative Open GPT-X, in Teilen auf dem Jülicher Supercomputer trainiert. Das Sprachmodell wurde u.a. durch Wissenschaftler der Fraunhofer-Institute IAIS und IIS, sowie der TU Dresden speziell auf die 24 europäischen Amtssprachen trainiert. Wohingegen die aus den USA stammenden Modelle (u.a. ChatGPT) auf Englisch arbeiten und so oftmals signifikant schwächere Ergebnisse, insbesondere in osteuropäischen Sprachen aufweisen. 

JUPITER ist von Grund auf modular konzipiert, so dass der Supercomputer zukünftig erweitert werden kann, wenn der Bedarf steigen sollte. Der Schwerpunkt soll neben dem Training von KI-Modellen insbesondere auf der Erforschung von Naturkatastrophen und dem Klimawandel sowie der Bekämpfung von Krankheiten liegen. Der Jülicher Supercomputer besteht aus insgesamt zwei Modulen, zum einen dem Booster, der insbesondere für das Training von KI-Modellen eingesetzt wird und seine Stärke in Parallelverarbeitung hat. Die andere Komponente ist das Cluster, welches für klassisches HPC (High Performance Computing) genutzt wird und bspw. für wissenschaftliche Simulationen, bspw. zu Molekülreaktionen oder Klimaentwicklungen eingesetzt wird. 

Was leisten die KI-Fabrik JAIF und das Inferenzsystem JARVIS?

Doch der Ausbau am Standort geht noch weiter. Derzeit befindet sich das dritte Modul (zusätzlich zu Booster und Cluster) im Bau. Dieses Modul heißt JARVIS (JUPITER Advanced Research Vehicle for Inference Services) und ist spezialisiert auf Inferenzen, also die Anwendung von KI-Modellen. Darunter versteht man, dass das Erlernte nun in Tausenden Abfragen auch kosteneffizient ausgegeben wird. Man kann sich das vorstellen wie in einem Bahnhof. Der Booster trainiert die KI, bringt ihr also Wissen bei. Er ist der Gleisverlegetrupp, der die Schienen verlegt. JARVIS ist hingegen der Fahrdienstleiter, der die Züge auf den Gleisen möglichst effizient und reibungslos koordiniert. Also dafür sorgt, dass die KI effizient Antworten aus dem Wissen zu den Fragen der Nutzer ausgibt. JARVIS übernimmt somit z.B. die Texterzeugung, Bildanalyse oder komplexe Berechnungen sowie die weitere Optimierung der Modelle mittels des sogenannten „Refinement Learnings“, also nach dem Trial-and-Error-Prinzip.

Wie eingangs bereits erwähnt, wird der Standort Jülich neben dem neuen Supercomputer und seinen drei Modulen auch durch die neue KI-Fabrik JAIF (JUPITER AI Factory) erweitert.

Welche Rolle spielt Deutschland im europäischen KI-Infrastrukturplan?

Eine Besonderheit in der europäischen KI-Infrastruktur ist, dass Deutschland als einziges Land mit gleich zwei Standorten für KI-Fabriken vertreten ist. Neben JAIF ist bereits in der ersten Ausschreibungsrunde eine der ersten sieben KI-Fabriken an Deutschland vergeben worden. Damals erhielt die baden-württembergische Landeshauptstadt Stuttgart den Zuschlag. Die AI Factory entstand am Höchstleistungsrechenzentrum der Universität Stuttgart (HLRS) und trägt den Namen HammerHAI. Jülich und Stuttgart sollen nun gemeinsam den Aufbau eines KI-Ökosystems in Deutschland maßgeblich vorantreiben. Dass ein Standort eines Supercomputers der Exascale-Klasse mit einer KI-Fabrik kombiniert wird, ist jedoch nur in Jülich und perspektivisch auch in Bruyères-le-Châtel/Frankreich der Fall. In der ca. 20 km südlich von Paris gelegenen Stadt entsteht derzeit Europas zweiter Supercomputer der Exascale-Klasse. Er wird den Namen “Alice Recoque” tragen, benannt nach der französischen Informatikerin und KI-Pionierin des 20. Jahrhunderts. 

Warum Infrastruktur allein nicht reicht – und worauf es jetzt ankommt?

Kürzlich war die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission für Technische Souveränität, Sicherheit und Demokratie, die Finnin, Henna Virkkunen (und zugleich Kommissarin für Digitale- und Grenztechnologien) zu Gast in Jülich und ließ sich medienwirksam in gelber Warnweste und mit Helm durch die Hallen von Europas erstem Supercomputer führen. Dabei wurden jedoch auch zwei noch offene Punkte in Bezug auf die KI-Fabrik deutlich. Zum einen die Frage, wer Zugang zu JAIF erhält. Hier teilte sie der Presse mit, dass eine Regelung derzeit erarbeitet würde. Unternehmen, die die Infrastruktur also nutzen wollen, müssen sich also noch gedulden. Einen Lichtblick für Anwender und Firmen soll es hingegen an der rechtlichen Front geben. Die Kommissarin stellte sowohl Anpassungen am EU AI Act, als auch an der DSGVO in Aussicht, die die rechtlichen Hürden perspektivisch senken sollen (Hier gibt es einen ausführlichen Artikel zum EU AI Act). 

Lange Zeit hatte man die Befürchtung, dass Europa das Tempo der USA und Chinas (vgl. Artikel über Stargate) auf dem Gebiet der KI-Entwicklung nicht mithalten könne und ähnlich, wie es bereits bei der Computerindustrie der Fall war, am Ende nur Kunde der Unternehmen jenseits des Atlantiks sein würde. Die jüngsten Entwicklungen seit dem EU AI Summit in Paris zeigen jedoch, dass die Europäer die Herausforderung angenommen haben und Deutschland hierbei eine Führungsrolle einnimmt. Die KI-Fabriken in Jülich und Stuttgart und der Supercomputer JUPITER sind dabei jedoch als Chancen nicht als Lösungen zu verstehen. Es wird auch die Innovationskraft der hiesigen Unternehmen brauchen, die die Infrastruktur nutzen und smarte Anwendungen und Produkte entwickeln, die sich auf dem Weltmarkt durchsetzen. Immerhin scheinen die (typisch europäischen) rechtlichen Hürden in Brüssel erkannt zu sein und das legt die Hoffnung nahe, dass auch hier bald durch den Gesetzgeber eine Wettbewerbsfähigkeit hergestellt werden kann. Wie dem auch sei, die europäische Perspektive sieht widererwartend deutlich besser aus als lange Zeit vermutet und das macht Hoffnung.

Aufbauphase des JUPITER-Exascale-Supercomputers am Forschungszentrum Jülich mit technischer Infrastruktur.

Abb. 2: Erste Container des neuen Supercomputers JUPITER am Forschungszentrum Jülich.

©Foto: Forschungszentrum Jülich / Bernd Nörig

Bildnachweis (Header): Forschungszentrum Jülich / Ralf-Uwe Limbach

Fragen?

Europa baut an der Zukunft der KI – und legt mit JUPITER und JAIF den Grundstein für eine souveräne Daten- und Modellinfrastruktur. Doch Infrastruktur allein genügt nicht: Es braucht Entscheider, die erkennen, wie Technologie in Wertschöpfung übersetzt wird.

Wie kann Ihr Unternehmen von dieser Entwicklung konkret profitieren? Welche Rolle spielen Daten, Modelle und Anwendungen in Ihrer Branche – und wie gelingt der Brückenschlag von der Theorie in die Praxis?

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Autor

Sebastian Schulze

Sebastian Schulze ist ein gefragter Keynote Speaker und Experte für Künstliche Intelligenz und Big Data. Mit über einem Jahrzehnt Erfahrung macht er komplexe Technologien für Unternehmen verständlich. Seine Expertise im Marketing hat Unternehmen zu beeindruckenden Umsatzsteigerungen verholfen. Er inspiriert sein Publikum mit fundiertem Wissen und praxisnahen Strategien. Neben seiner beruflichen Tätigkeit engagiert er sich als Reserveoffizier bei der Bundeswehr.

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